6 Die neue Lust am Ernten VOM SAATGUT BIS ZUM SUPPENTOPF Die letzten warmen Tage im Jahr, die klare Herbstluft erfüllt von fern ein Brummen. Am Horizont ziehen im ganzen Land große Erntemaschinen geduldig ihre Bahnen. Für viele Landwirte Hochsaison. Kartoffeln, Mais und Kürbisse – der Ertrag eines ganzen Jahres Arbeit wird in riesigen Ladewagen über kleine Dorf- straßen transportiert. Manche Kollegen haben ihre Getreide- und Gemüseernte bereits im Sommer ein- gefahren, andere ernten ihre Produkte im Winter oder Frühjahr. Das ganze Jahr ist Erntezeit. Ernte im 21. Jahrhundert – vielerorts eine effiziente, teils vollautomatisierte Angelegenheit. Mit der tradi- tionellen Ernte vergangener Jahrhunderte, bei der Jung und Alt von morgens bis abends auf dem Feld ackerten, hat sie nicht mehr viel zu tun. Nur die Anbauflächen, auf denen heute noch Gruppen von Erntehelfern Obst und Gemüse pflücken, stechen, auflesen, erinnern an diese Zeiten. Als Ernte hundert Prozent Handarbeit war, die eigenen Produkte für den Winter eingekellert wurden und an Erntedank, zum Abschluss der Saison, das ganze Dorf zusam- menkam, um erschöpft, aber zufrieden die Geschenke der Natur zu feiern. Diese Zeiten sind vorbei, ein Glück für den Landwirt. Ihr Spirit aber erlebt heute eine Renaissance: Im Privaten macht sich seit einigen Jahren eine neue Freude am Säen und am Ernten breit. Stolz und Glück im müden Blick jedes Gartenbesitzers, wenn Gemüse und Obst, die monatelang eigenhändig gehegt und gepflegt wurden, endlich in Körben und Eimern auf der Terrasse stehen. Die erste Suppe mit Bohnen aus eigenem Anbau auf dem Herd vor sich hin köchelt. Große saftige Zucchinischnitzel in der Pfanne brut- scheln, während das Wiegemesser noch taufeuchte Kräuter für den Blattsalat aus dem Hochbeet schnei- det. Ernten ist eine sinnliche Angelegenheit. Immer mehr Gartenbesitzer entscheiden sich darum für Gemüse- und Kräuterbeete, Obstwiesen und He- cken aus Wildfruchtsträuchern, deren Ertrag bis in den Winter hinein beim Kochen und Backen verar- beitet wird. Nahrung, von der man weiß, wo sie her- kommt, wie sie gewachsen und verarbeitet ist, wird wieder wertgeschätzt – begleitet vom Saatgut bis in den Suppentopf. Der Boom von Hofläden belegt die neu erwachte Achtsamkeit gegenüber natürlich pro- duzierten Lebensmitteln. Das bleibt auch in der Küche nicht ohne Folgen: Mit der Sensibilität für gesundes Essen ist eine tiefe Liebe für das Kochen zurückgekehrt. Geduldig, in Hand- arbeit. Mit frischen Zutaten und viel Zeit, mit einfachen, aber hochwer- tigen Küchenhelfern und nach- haltig produziertem Kochge- schirr. Nach alten Rezepten, mit neuen Einflüssen, aus der Heimat und der Welt.